Annäherung der beiden deutschen Staaten
Das Viermächteabkommen
Im März 1970 kam es zu Gesprächen mit den vier Siegermächten. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Neuregelung der Berlin-Frage, die durch die Berlin-Blockade, das Berlin-Ultimatum Chruschtschows sowie den Bau der Berliner Mauer unbefriedigend gelöst war. Die Sonderstellung Berlins sollte auf Dauer neu definiert werden, um die Lebensfähigkeit West-Berlins zu sichern. Die Botschafter der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Bonn sowie der sowjetische Botschafter in der DDR trafen sich im ehemaligen alliierten Kontrollgebäude in West-Berlin. Nach schwierigen Verhandlungen konnte des Abkommen schließlich am 03.09.1971 unterzeichnet werden.
Das Viermächteabkommen bekräftigte u.a. die Verantwortlichkeiten und Rechte der vier Mächte unter Wahrung ihrer unterschiedlichen Rechtspositionen. Es legte außerdem fest, dass die bestehende Lage nicht einseitig verändert werden dürfe. Damit wurde auch die Anwesenheit der Westmächte in West-Berlin bestätigt. Die Sowjetunion verpflichtete sich auch dazu, dass der Transitverkehr von zivilen Personen ungehindert durch das Territorium der DDR führen kann. Weitere Übereinkünfte betrafen erhebliche Erleichterungen für West-Berliner bei Reisen in die DDR sowie die bestätigte und erweiterte Interessenvertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik im Ausland.
Das Viermächteabkommen trug intensiv zur Stabilisierung und Entspannung des Berlin-Problems bei, das bis 1989 ein Hauptkonfliktpunkt der Weltpolitik war.
Der Grundlagenvertrag
Während des innerdeutschen Treffens in Kassel legte der Bundeskanzler dem Staatsratsvorsitzenden der DDR Willi Stoph ein 20-Punkte-Programm vor, dass die Basis für den späteren Grundlagenvertrag bilden sollte. Die Verhandlungen für die Bundesrepublik führte Staatssekretär Egon Bahr. Verhandlungsführer der DDR war Staatssekretär Michael Kohl. Am 16.08.1972 begannen die offiziellen Verhandlungen über den Vertrag, der am 08.11.1972 in Bonn und am 21.12.1972 in Ost-Berlin unterzeichnet wurde. Eine Verfassungsklage Bayerns, das den Grundlagenvertrag als unvereinbar mit dem Grundgesetz ansah, wurde vom Bundesverfassungsgericht am 31.07.1973 abgewiesen.

Unterschriftenseite des Grundlagenvertrags
Aufgaben:
1 Arbeiten Sie die wesentlichen inhaltlichen Bestimmungen des Grundlagenvertrags heraus!
Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik:
Die hohen vertragsschließenden Seiten eingedenk ihrer Verantwortung für die Erhaltung des Friedens, in dem Bestreben, einen Beitrag zur Entspannung und Sicherheit in Europa zu leisten, in dem Bewusstsein, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden sind, in der Erkenntnis, dass sich daher die beiden deutschen Staaten in ihren Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten haben, ausgehend von den historischen Gegebenheiten und unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage, geleitet von dem Wunsch, zum Wohle der Menschen in den beiden deutschen Staaten die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu schaffen, sind wie folgt übereingekommen:
Artikel 1
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik entwickeln normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung.
Artikel 2
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden sich von den Zielen und Prinzipien leiten lassen, die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind, insbesondere der souveränen Gleichheit aller Staaten, der Achtung der Unabhängigkeit, Selbständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung.
Artikel 3
Entsprechend der Charta der Vereinten Nationen werden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und sich der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt enthalten. Sie bekräftigen die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität.
Artikel 4
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gehen davon aus, dass keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann. […]
Artikel 5
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden friedliche Beziehungen zwischen den europäischen Staaten fördern und zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beitragen. Sie unterstützen die Bemühungen um eine Verminderung der Streitkräfte und Rüstungen in Europa, ohne dass dadurch Nachteile für die Sicherheit der Beteiligten entstehen dürfen. […]
Artikel 6
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gehen von dem Grundsatz aus, dass die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt. Sie respektieren die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten. […]
Artikel 8
Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden ständige Vertretungen austauschen. Sie werden am Sitz der jeweiligen Regierung errichtet. Die praktischen Fragen, die mit der Einrichtung der Vertretungen zusammenhängen, werden zusätzlich geregelt. […]
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.11.1972