Konstitution zweier deutscher Staaten
Gründung der Bundesrepublik Deutschland
Während der Londoner Außenministerkonferenz vom März 1948 einigten sich die USA, Großbritannien und Frankreich sowie die Beneluxländer auf eine Zusammenarbeit der westlichen Zonen und auf die Herstellung der deutschen Einheit auf der Grundlage einer bundesstaatlichen Regierungsform. Die Sowjetunion wurde von diesem Schritt nicht unterrichtet. Deshalb trat der sowjetische Vertreter am 20.03.1948 aus dem Alliierten Kontrollrat aus. Damit war die gemeinsame Politik der Alliierten in den Zonen beendet. Im Juni beschloss die Londoner Konferenz, die westdeutsche Staatengründung über die Ministerpräsidenten der Länder in die Wege zu leiten. „Die Frankfurter Dokumente“ vom 01.07.1948 legten hierfür fest, dass die Ministerpräsidenten eine verfassungsgebende Versammlung einberufen sollten, deren Mitglieder von den Länderparlamenten zu wählen waren. Die Verfassung sollte eine bundesstaatliche demokratische Regierungsform und eine Garantie der Grundrechte des Einzelnen enthalten. Sie sollte des Weiteren von den Militärgouverneuren genehmigt und von der Bevölkerung in einer Volksabstimmung gebilligt werden.
Den Ministerpräsidenten erschien ein solch regelrechtes Vorgehen zur Staatengründung im Westen als hinderlich für eine spätere gesamtdeutsche Einigung. Deshalb entschlossen sie sich zu einer weniger endgültigen Verfahrensweise. Die Verfassung sollte als Provisorium entstehen und wurde „Grundgesetz“ genannt, das von einem „Parlamentarischen Rat“ statt von einer verfassungsgebenden Versammlung verabschiedet und auch nicht vom ganzen Volk, sondern nur von den Länderparlamenten gebilligt wurde. Gleichwohl sollte das Grundgesetz für alle Deutschen gelten, auch wenn sie nicht in den Westzonen lebten und an der Entstehung mitarbeiten konnten.

Von Bundesarchiv, B 145 Bild-F078072-0004 / Katherine Young / CC BY-SA 3.0 DE, CC BY-SA 3.0 de, Link Konrad Adenauer
Der Aufbau des Grundgesetzes folgte dem Leitgedanken, einer Wiederkehr zum Nationalsozialismus und zu einer Diktatur vorzubeugen. Deshalb wurde zunächst die Ordnung selbst durch besondere Maßnahmen geschützt (Änderung nur mit Zweidrittelmehrheit im Parlament). Darüberhinaus wurden als unveränderliche Prinzipien der Schutz der Menschenwürde, der Demokratie, des Rechtsstaates, des Sozialstaates und des Bundesstaates festgelegt.
Nicht nur in der Verfassungsordnung sollten die Fehler von Weimar vermieden werden, sondern auch in der Errichtung der Staatsorgane. Deshalb trat an die Stelle der Präsidialdemokratie die Kanzlerdemokratie mit einem Bundespräsidenten, der nur repräsentative Funktionen besitzt und deshalb auch nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung gewählt wird, die je zur Hälfte aus Vertretern des Bundestags und der Länderparlamente besteht. Ein Notverordnungsrecht wie in der Weimarer Republik wurde nicht aufgenommen (und die Notstandsgesetzgebung erst 1968 eingefügt, weil sich die Alliierten diese als Teil ihrer Souveränitätsrechte in der Bundesrepublik Deutschland vorbehalten hatten). Wegen des Konflikts von Föderalisten und Zentralisten im Parlamentarischen Rat wurde das Verhältnis von Bund und Ländern kompromisshaft und deshalb kompliziert geregelt. Dem alleinigen Gesetzgebungsrecht des Bundes in Fragen der Außen-, Währungs- und später der Wehrpolitik steht die Kultur- und Kommunalpolitik der Länder gegenüber.
Das Grundgesetz wurde am 08.05.1949 von 53 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates gebilligt; sechs Abgeordnete der CSU, je zwei der DP, des Zentrums und der KPD stimmten dagegen. Es wurde von allen Ländern mit Ausnahme Bayerns am 23.05.1949 ratifiziert und von den Militärgouverneuren mit gewissen Vorbehalten genehmigt.
Nachdem der Wahlmodus in harten Auseinandersetzungen auf ein Mischwahlsystem von Mehrheits- und Verhältniswahl festgelegt worden war, wurde am 14.08.1949 der erste Deutsche Bundestag gewählt. Die CDU/CSU erreichte 139, die SPD 131, die FDP 52 und die DP 17 Mandate. Damit war die Kontroverse Sozialismus oder soziale Marktwirtschaft zugunsten der Marktwirtschaft entschieden, obwohl die SPD stärkste Partei geworden war. Die erste Bundesregierung konnte aus derselben Koalition gebildet werden, die schon im Frankfurter Wirtschaftsrat zusammengearbeitet hatte. Im September wurde Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten und Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler gewählt.
Gründung der Deutschen Demokratischen Republik
Auch in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) hatte die Wirtschaftspolitik die Staatsgründung vorbereitet. Die Sowjetisierung der SED und die Volkskongressbewegung schlossen diesen Prozess gleichzeitig mit der westdeutschen Staatengründung ab. Im Sommer 1948 wurde die SED in eine marxistisch-leninistische Kaderpartei wie die KPdSU umgewandelt. Dies führte zur Ausschaltung des sozialdemokratischen Elements durch Säuberungsaktionen und zur Einführung eines Politbüros, in dem Pieck, Grotewohl und Ulbricht die Führung übernahmen.

Von Bundesarchiv, Bild 183-19000-3301 / Zühlsdorf / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link Wilhelm Pieck (links) und Otto Grotewohl
Schon im November 1946 hatte die SED den Entwurf einer gesamtdeutschen Verfassung für eine „Deutsche Demokratische Republik“ vorgelegt. Zur Vorbereitung und Verabschiedung dieses Verfassungsentwurfs wurde von der SED im Dezember 1947 der erste Volkskongress in Berlin zusammengerufen. Ihm gehörten Delegierte von Parteien, Massenorganisationen und Betrieben an. Ein zweiter Volkskongress wählte im März 1948 einen 400-köpfigen „Deutschen Volksrat“, der eine von der SED revidierte Fassung des Entwurfs von 1946 annahm und einem dritten Volkskongress zur Bestätigung vorlegte. Dieser dritte Volkskongress wurde im Mai 1949 gewählt. Für diese Wahl hatten die Blockparteien, erweitert um die Massenorganisationen, eine Einheitsliste ihrer gemeinsamen Kandidaten erstellt, die der Wähler nur akzeptieren oder ablehnen konnte. Die Sitzverteilung im Kongress wurde bereits vor der Wahl unter den Parteien fest vereinbart. So standen der SED 25%, der CDU und LDPD je 15% sowie der NDPD und dem DBD je 7,5% der Sitze zu. Die übrigen 30% der Sitze wurden unter den Massenorganisationen (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, Freie Deutsche Jugend, Kulturbund, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes u.a.) verteilt, die von SED-Mitgliedern geführt wurden. Da sich auch die Nationaldemokratische Partei (NDPD) und der Demokratische Bauernbund (DBD) an der SED ausrichteten, sicherte dieser Modus die SED-Mehrheit. Die Wahl zum dritten Volkskongress brachte bei einer Wahlbeteiligung von 95,2% über 63% Ja-Stimmen. Hierbei wurden nicht nur 1600 Abgeordnete aus der SBZ gewählt, sondern auch 616 Delegierte aus den Westzonen.
Am 30.05.1949 wurde die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom Volkskongress bestätigt und zugleich ein neuer Volksrat gewählt. Dieser setzte am 09.10.1949 die Verfassung in Kraft; sie hatte bis 1968 Gültigkeit, entsprach aber nur wenig der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit in der DDR. Die erste Verfassung beanspruchte ein Modell für ganz Deutschland zu sein und die deutsche Verfassungsentwicklung seit 1848 abzuschließen. In der Tat schloss sie sich vielfach der Weimarer Reichsverfassung an. Im Gegensatz zur bürgerlich-liberalen Verfassungsbewegung aber vertrat sie den Leitgedanken der Volksdemokratie; die Volkskammer der DDR (Artikel 50) sollte als höchstes Verfassungsorgan sowohl Gesetzgebungs- als auch oberste Regierungs- und Justizfunktion haben. Damit war das Prinzip der Gewaltenteilung bewusst ausgeschaltet. Insofern war es konsequent, dass die Kontrolle über die Gesetzgebung, die in der Bundesrepublik Deutschland vom Bundesverfassungsgericht ausgeübt wird, in der DDR die Volkskammer selbst innehatte, und zwar durch einen Verfassungsausschuss (Artikel 66). Die Volkskammer kontrollierte auch die Justiz über die Absetzbarkeit der Richter (Artikel 132). Ebenso sollte der Ministerrat als Regierungsorgan im engeren Sinn der Volkskammer untergeordnet sein, doch wurde der Vorrang des Parlaments nur bis 1952 aufrechterhalten – dann wurden die entscheidenden Kontrollfunktionen über die Staatsverwaltung dem Ministerrat übertragen. Damit erhielt auch nach dem Gesetz die Exekutive diejenige Bedeutung, welche ihr in Wirklichkeit schon von Anfang an in der DDR gehörte. Im Gegensatz zum Grundgesetz war in der DDR-Verfassung von 1949 nicht nur das Prinzip der Gewaltenteilung aufgegeben, sondern auch das von repräsentativer Demokratie und Parteienpluralismus. So interpretierte das Wahlgesetz von 1950 den Grundsatz der Verhältniswahl für die Volkskammer (Artikel 51) im Sinne der Einheitslistenwahl und setzte an die Stelle der Parteienkonkurrenz das Blocksystem.
Von Algos, CC BY-SA 3.0, Link Die Bezirke der DDR (Grenzen und Bezeichnungen aus DDR-Sicht, 1989)
Wie in der Bundesrepublik Deutschland war auch in der DDR von 1949 an die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung der Republik gewährleistet. Die Länderkammer der DDR hatte aber nur ein Vetorecht und wurde wie die Länder selbst schon 1952 abgeschafft. Im Gegensatz zum Grundgesetz legte die DDR-Verfassung die Wirtschaftsordnung als vom Parlament kontrollierte Planwirtschaft fest (Artikel 21) und bestimmte die entschädigungslose Enteignung von Eigentum, das wirtschaftliche Machtstellung begründete (Artikel 24) sowie das Volkseigentum an Bodenschätzen, an der Schwerindustrie und an der Energiewirtschaft (Artikel 25). Damit wurde der Weg in eine sozialistische Gesellschaft fortgesetzt, der mit der Sozialisierung 1945 begonnen hatte.
Der Staatsgewalt waren in der DDR-Verfassung wie im Grundgesetz durch die klassischen liberalen Grundrechte klare Grenzen gezogen (Artikel 6 – 18). Allerdings trat hier wie in den Bestimmungen für die Staatsorgane die Diskrepanz zwischen Verfassungsrecht und Wirklichkeit deutlich hervor. Die Verfassung wurde von der SED eindeutig als Instrument zur Umformung von Wirtschaft und Gesellschaft genutzt und mit dem geschaffenen gesellschaftlichen Wandel auch 1968 durch eine sozialistische Verfassung ersetzt. Die sowjetische Militärführung übertrug am 11.11.1949 die Verwaltungshoheit der Regierung der DDR, behielt sich aber (wie die Westmächte in der Bundesrepublik Deutschland) Vorbehalte hinsichtlich Entmilitarisierung, Demokratisierung, Reparationen und Außenhandel vor. Die sowjetische Kontrollkommission sicherte sich als Besatzungsbehörde auch den Generalvorbehalt für alle notwendigen weiteren Eingriffe.
Der am 30. Mai gewählte 400-köpfige Volksrat erklärte sich mit Inkrafttreten der Verfassung zur provisorischen Volkskammer. So wurden auch Regierung und Länderkammer provisorisch gebildet. Diese wählten am 11.10.1949 Wilhelm Pieck zum Präsidenten der Republik und Otto Grotewohl zum Ministerpräsidenten. Für alle verfassungsmäßigen Wahlen (erstmals im Oktober 1950) galt das Einheitslisten-Verfahren. Die DDR lehnte sich damit eng an die Politik von Stalin an und betrieb eine Politik der Zentralisierung.
Konstitution zweier deutscher Staaten: Quellenarbeit
Aufgaben:
1 Vergleichen Sie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 08.05.1949 mit der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 07.10.1949 bezüglich der Bestimmungen!
2 Wo sind in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 07.10.1949 liberale, wo sind sozialistische Anknüpfungspunkte zu erkennen? Wo gibt es deutliche Unterschiede?
M1 Aus dem Bericht des Parlamentarischen Rates zum Entwurf des Grundgesetzes:
Grundrechte
Im Ausschuss für Grundsatzfragen haben ganz zu Anfang Zweifel bestanden, ob die Proklamierung von Grundrechten nicht ähnlich wie unter der Bismarck’schen Verfassung den Ländern überlassen bleiben sollte. Da zu Beginn die Ansicht vorherrschte, dass das Grundgesetz nur ein Provisorium darstellten werde, lag es nahe, zunächst nur ein reines Organisationsstatut zu schaffen. Solchen Überlegungen gegenüber setzte sich aber bald der Gedanke durch, dass es gerade für das zukünftige Deutschland dringend erforderlich sein werde, nicht nur das Gerippe des bundesstaatlichen Aufbaues zu geben, sondern auch zu bestimmen, welcher Art der Geist sein solle, der das neuorganisierte Staatswesen beseelt. So wurden denn schon in der Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 21. September beschlossen, dass Grundrechte nicht nur in die Landesverfassungen, sondern auch in das Grundgesetz gehörten.
Gleichzeitig wurde festgelegt, dass die Grundrechte in einem besonderen Teil des Grundgesetzes und nicht etwa wie in der neuen französischen Verfassung in die Präambel aufgenommen werden sollten. Anders als in Frankreich war es in Deutschland nicht möglich, einen Grundrechtskatalog in toto zu übernehmen, der eine ähnliche Tradition aufweisen konnte. Wenn in Weimar in den Grundrechten und Grundpflichten der Versuch gemacht worden ist, die Grundzüge der Gemeinschaftsordnung des neuen Staates in der Verfassung zu verankern, insbesondere auch Grundsätze für die künftige kulturelle und soziale Lebensordnung aufzustellen, so konnte bei der gegenwärtigen Ungewissheit aller künftigen Entwicklungen in diesem Grundgesetz der Rahmen nicht soweit gespannt werden. Vielmehr sahen die Beteiligten ihre Aufgabe darin, die Grundrechte im Sinne der alten klassischen Grundrechte zu gestalten. Nach einer Zeit fortgesetzter Bedrückung und schwerster Missachtung der Menschenwürde musste es als unerlässlich erscheinen, die Achtung vor der Menschenwürde und als eine der notwendigsten Grundlagen dafür die alten Freiheitsrechte zuzusichern. In den Grundrechten sollte also das Verhältnis des Einzelnen zum Staate geregelt werden, der Allmacht des Staates Schranken gesetzt werden, damit der Mensch in seiner Würde wieder anerkannt werde. Dabei wurden diese Rechte als vorstaatlich betrachtet und zwar je nach dem weltanschaulichen Standpunkt als von Gott gegebene und angeborene oder als naturgegebene und unveräußerliche Rechte. So kam es, dass in der Sitzung vom 21. September ausdrücklich beschlossen wurde, die sog. vorverfassungsmäßigen Rechte aufzunehmen.
Parlamentarischer Rat, Bonn 1948/1949, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Drucksachen 850, 854, S. 5
M2 Aus der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik:
Von dem Willen erfüllt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu verbürgen, das Gemeinschafts- und Wirtschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu gestalten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen, die Freundschaft mit den Völkern zu fördern und den Frieden zu sichern, hat sich das deutsche Volk diese Verfassung gegeben.
A. Grundlagen der Staatsgewalt
(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. (2) Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht zur Mitgestaltung in seiner Gemeinde, seinem Kreise, seinem Lande und in der Deutschen Demokratischen Republik. (3) Das Mitbestimmungsrecht der Bürger wird wahrgenommen durch: Teilnahme an Volksbegehren und Volksentscheiden. Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts. Übernahme öffentlicher Ämter in Verwaltung und Rechtsprechung. (4) Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben an die Volksvertretung zu richten. (5) Die Staatsgewalt muss dem Wohl des Volkes, der Freiheit, dem Frieden und dem demokratischen Fortschritt dienen. (6) Die im öffentlichen Dienst Tätigen sind Diener der Gesamtheit und nicht einer Partei. Ihre Tätigkeit wird von der Volksvertretung überwacht. […]
Artikel 4
(1) Alle Maßnahmen der Staatsgewalt müssen den Grundsätzen entsprechen, die in der Verfassung zum Inhalt der Staatsgewalt erklärt sind. Über die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen entscheidet die Volksvertretung gemäß Artikel 66 dieser Verfassung. Gegen Maßnahmen, die den Beschlüssen der Volksvertretung widersprechen, hat jedermann das Recht und die Pflicht zum Widerstand. (2) Jeder Bürger ist verpflichtet, im Sinne der Verfassung zu handeln und sie gegen ihre Feinde zu verteidigen. […]
B. Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt
I. Rechte des Bürgers
Artikel 6
(1) Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. (2) Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze. (3) Wer wegen Begehung dieser Verbrechen bestraft ist, kann weder im öffentlichen Dienst noch in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben tätig sein. Er verliert das Recht, zu wählen und gewählt zu werden. […]
Artikel 8
(1) Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und das Recht, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen, sind gewährleistet. Die Staatsgewalt kann diese Freiheiten nur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze einschränken oder entziehen. […]
Artikel 9
(1) Alle Bürger haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Diese Freiheit wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt; niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. (2) Eine Pressezensur findet nicht statt. […]
Artikel 15
(1) Die Arbeitskraft wird vom Staat geschützt. (2) Das Recht auf Arbeit wird verbürgt. Der Staat sichert durch Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt. Soweit dem Bürger angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt. […]
II. Wirtschaftsordnung
Artikel 19
(1) Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit entsprechen; sie muss allen ein menschenwürdiges Dasein sichern. (2) Die Wirtschaft hat dem Wohle des ganzen Volkes und der Deckung seines Bedarfes zu dienen; sie hat jedermann einen seiner Leistung entsprechenden Anteil an dem Ergebnis der Produktion zu sichern. (3) Im Rahmen dieser Aufgaben und Ziele ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen gewährleistet.
Artikel 20
(1) Bauern, Handel- und Gewerbetreibende sind in der Entfaltung ihrer privaten Initiative zu unterstützen. Die genossenschaftliche Selbsthilfe ist auszubauen. […]
Artikel 22
(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen und den sozialen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft. (2) Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet. Der Anteil des Staates am Erbe wird durch Gesetz bestimmt. […]
Artikel 23
(1) Beschränkungen des Eigentums und Enteignungen können nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgen gegen angemessene Entschädigung, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfall der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offenzuhalten, soweit ein Gesetz nichts anderes bestimmt. […]
Artikel 24
(1) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen. (2) Der Missbrauch des Eigentums durch Begründung wirtschaftlicher Machtstellung zum Schaden des Gemeinwohls hat die entschädigungslose Enteignung und Überführung in das Eigentum des Volkes zur Folge. (3) Die Betriebe der Kriegsverbrecher und aktiven Nationalsozialisten sind enteignet und gehen in Volkseigentum über. Das gleiche gilt für private Unternehmungen, die sich in den Dienst einer Kriegspolitik stellen. […]
Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 07.10.1949