Entwicklungsanforderungen im frühen Erwachsenenalter (nach Paul Baltes)
Nicht nur die Kindheit spielt in der Entwicklungspsychologie eine entscheidende Rolle, denn auch im Jugendalter, sowie im Erwachsenenalter treten Entwicklungsanforderungen auf, welche näher untersucht werden können.
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1. Überlegen Sie sich zunächst, welche aktuellen Herausforderungen Sie in Ihrem momentanen Entwicklungszustand zu bewältigen haben. Notieren Sie diese in einem kreativen Schaubild.
2. Informieren Sie sich über die Entwicklungsanforderungen im frühen Erwachsenenalter.
3. Gleichen Sie Ihre Notizen mit dem neuen theoretischen Wissen ab und reflektieren Sie für sich persönlich inweit diese Aufgaben bereits von Ihnen bewältigt worden sind bzw. wie Sie planen diese positiv bewältigen zu können.
4. Überlegen Sie anschließend weiter, welche weiteren Entwicklungsanforderungen auf Ihren zukünftigen Lebensweg (mittleres/ spätes Erwachsenenalter) auf Sie warten werden. Recherchieren Sie nach. Interviewen Sie Personen in dieser Lebensspanne.
Entwicklungspsychologie der Lebensspanne
Neue Sichtweisen in der entwicklungspsychologischen Forschung sind der Auffassung, dass Entwicklung ein lebenslanger Prozess ist (siehe Definition Begriff Entwicklung) und daher Entwicklungsprozesse im Leben des Menschen von der Geburt bis zum Tod analysiert und beschrieben werden können. So stellt Entwicklung einen Prozess über die gesamte Lebensspanne dar, der von Wachstum (dem Erwerb neuer Funktionen) und Abbau (das Ersetzen alter Funktionen) gekennzeichnet ist.
Dies wird als „Entwicklungspsychologie der Lebensspanne“ bezeichnet. Der Psychologe und Gerontologe Paul B. Baltes war einer der federführenden Forscher in diesem Fachbereich gewesen.
Das Erwachsenenalter kann in drei Formen unterschieden werden:
frühes Erwachsenenalter: 18-30 Jahre
Mittleres Erwachsenenalter: 30-65 Jahre
Spätes/ höheres Erwachsenenalter: 65 und später
Baltes entwickelte sieben Leitsätze der Entwicklung der Lebensspanne:
| Leitsatz | Erklärung |
| Lebenslange Entwicklung | Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess. In jeder Altersstufe (d. h. in allen Phasen der Lebensspanne) kann eine dauerhafte Veränderung des Verhaltes und Erlebens einer Person stattfinden. |
| Multidirektionalität (= zahlreiche Richtungen) | Entwicklungsbedingte Veränderungen können zwischen unterschiedlichen Verhaltensbereichen (z.B. Intelligenz/ Bedürfnisse/Emotionen), aber auch innerhalb derselben Verhaltenskategorie in verschiedene Richtungen gehen. (vgl. Wachstum und Abbau)
Exemplifikation: Mit dem hohen Alter beginnt die Intelligenzkurve im Bereich der „fluiden Intelligenz“ (z.B. Fähigkeiten, wie Problemlösung, Lernen und Mustererkennung) zu sinken. Jedoch steigt diese im Bereich der „kristallinen Intelligenz“ (Fähigkeiten, die von Wissen und Erfahrung abhängen, wie Vokabelwissen, generelle Informationen und Analogien) mit dem Alter weiter an. So zeigt sich, dass in ein und demselben Entwicklungsabschnitt Wachstum und Abbau stattfindet. |
| Entwicklung als Gewinn und Verlust | Entwicklung bedeutet nicht nur den Gewinn oder Zuwachs von immer effizienteren Verhaltens- und Erlebensweisen, sondern sie besteht immer aus Gewinn (Wachstum) und Verlust (Abbau).
In der Psychologie der Lebensspannen richtet man sich gegen den Gedanken, dass Altern immer mit dem Abbau einhergeht. Zwar vollzieht sich, z.B. der körperliche Abbau aus biologischer Sicht, aber es vollzieht sich auch ein Wachstum, z.B. im Expertentum und der Weisheit einer älteren Person. Exemplifikation: So stellt beispielsweise die Eheschließung mit einer Person häufig auf vielen Ebenen einen Gewinn dar (z. B. Statusgewinn, soziale Unterstützung, Intimität). Gleichzeitig schließt jedoch die Eheschließung in den meisten Fällen aus, dass man weitere intime, sexuelle Beziehungen mit anderen Menschen eingehen kann. |
| Plastizität (Veränderbarkeit innerhalb einer Person) | Verhalten und Erleben sind in jeder Lebensspanne veränderbar, u.a. durch lebenslanges Lernen. Mit den Möglichkeiten und Grenzen der Veränderbarkeit innerhalb der Person setzt sich die Forschung die Psychologie der Lebensspanne intensiv auseinander.
Exemplifikation: Lebenslanges Lernen kann bis in das hohe Alter stattfinden. So können körperliche und kognitive Leistungen trainiert werden z.B. in einen Computerkurs. |
| Geschichtliche Einbettung | Der individuelle Ablauf der (altersbedingten) Entwicklung ist von den vorherrschenden geschichtlichen und gesellschaftlichen Faktoren (=historischen und sozio-kulturellen Bedingungen) der jeweiligen Zeit abhängig.
Exemplifikation: In der Zeit der Weltkriege waren individuelle Ziele: Lebenserhalt, Suche nach Stabilität und Sicherheit, während in der Zeit der Wiedervereinigung Ziele, wie Aufbruch, Veränderung und Revolution die Gesellschaft dominierten. Mit ihnen verinnerlichen die Personen auch unterschiedliche Verhaltens- und Erlebensweisen. |
| Kontextualismus („zusammen gefügt“) | Drei Faktoren beeinflussen die Entwicklung:
– altersbedingte (Lebensalter der Person), – geschichtliche (historische Gegebenheiten, siehe oben) – nicht-normative Faktor (kritische Ereignissen im Lebenslauf), welche im Zusammenhang gesehen werden müssen. |
| Multidisziplinäre Betrachtung („mehrere Fächer“) | Eine rein psychologische Betrachtungsweise der lebensumspannenden Entwicklung kann nur einen kleinen Ausschnitt dieser repräsentieren. Eine multidisziplinäre und damit vielschichtige Betrachtungsweise hingegen ermöglicht ein vielfältigeres und allumfassenderes Bild der Lebensspanne einer Person.
Exemplifikation: Denn nicht nur die Psychologie beschäftigt sich dem Verlauf der Entwicklung, sondern auch weitere wissenschaftliche Disziplinen (wie z.B. Biologie, Soziologie, uvm.), deren Erkenntnisse zusammengefügt werden sollen. |
Anforderungen für das junge Erwachsenenalter
Entwicklungsziele, auch Entwicklungsaufgaben genannt, sollen innerhalb eines bestimmten Lebensalters erreicht werden. Hierbei werden biologische, soziologische und psychologische Aspekte mit einander zusammengezählt.
Das Erwachsenenalter ist ein relativ neues und daher ein noch gering erforschtes Gebiet der Entwicklungspsychologie. Im Vergleich zum Kindes- und Jugendalter sind die Entwicklungsprozesse im Erwachsenenalter weniger auffällig und vollziehen sich in größeren Zeitspannen. Ebenso ist die Entwicklung im Erwachsenalter individueller und stärker durch Multidirektionalität in der Entwicklung gekennzeichnet (vgl. Baltes, 1987).
Exemplifikation: So zeigt sich z.B. in den Funktionsbereichen des Gedächtnisses ein erster Abbau, wohingegen das Wissen an Wachstum dazu gewinnt (vgl. Weisheit/ Expertentum im Alter). Im Bereich der Persönlichkeit findet man eine weitestgehende Stabilität im Erwachsenenalter.
Ebenso ist die Entwicklung im Erwachsenenalter weniger von genetischen (z. B. Reifung) und sozialen Umweltbedingungen (z. B. Erziehung der Eltern) bestimmt als die Kindheit. Im Erwachsenenalter herrscht damit eine größere Selbststeuerung, i.S. von Mitbestimmung und Selbstbestimmtheit.
Anforderungen im jungen Erwachsenalter sind unter anderen in den Bereichen Familie und Beruf zu finden.
Anforderungen
Ablösung von der Herkunftsfamilie
- Auszug aus dem Elternhaus
- wachsendes Autonomie und Selbstverantwortung
- finanzielle Unabhängigkeit
finden eines Lebenspartners/in
- dauerhafte und stabile Zweierbeziehung notwendig (Dyade)
- schließt tiefgreifende Veränderung der Lebensführung ein – vormals Selbstfokus, Vielfalt an Beziehungen, keine Verpflichtung ggü Beziehungen oder bestimmten Lebensstilen dominant
Gründung einer eigenen Lebensgemein-schaft/ Familie
- Wahl der Lebensform
- Geburt eines Kindes: dieses nimmt einen zentralen Stellenwert im Leben ein – eigenen Bedürfnisse werden zurückgestellt
- aus Dyade wird Triade
- Neuorganisation des Tagesablaufs notwendig
- Veränderung der sozialen Netzwerke: Abnahme und Bedeutungsverlust von Freundschaften – dennoch neben eigenen Eltern, weiterhin primäre Quelle sozialer Unterstützung
- wenig Freizeit
Abschluss der schulischen und Wahl der beruflichen Ausbildung
- abhängig von Herkunft, Persönlichkeitsmerkmalen, Geschlecht und Gegebenheiten/ Anforderungen des Arbeitsmarktes
- finanzielle Basis für Unabhängigkeit
- Kompetenzen für Beruf erwerben
beruflicher Einstieg und Etablierung
- geeignete Stelle finden und sich behaupten
- stets mit Pflichterfüllung (Leistung, Zuverlässigkeit) verbunden